Flatten the curve

Unter #flattenthecurve versteht man die Bestrebung, die Ausbreitung des Corona-Virus einzuschränken. Die Fallzahlen sollen sich dabei nicht mehr exponentiell vergrößern, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Eine Überforderung geht mit vielen Toten einher, wie man in Italien beobachten kann. Exponentielle Funktionen sind nicht nur das unheilbringende Übel eines Oberstufenschülers, sondern auch einer gesamten Gesellschaft. Also tun wir das, was ich ungefähr mein halbes Studium lang getan habe. Wir bleiben drinnen, sitzen am PC, vor dem Fernseher und meiden das Sonnenlicht so sehr, wie der durchschnittliche Vampir.

Nach nicht noch mal zwei Wochen werden die ersten Stimmen laut, dass es nun auch mal gut sein müsse. Letztes Wochenende war ein Abflachen der Kurve zu beobachten. Woraufhin am Montag vermehrt zu hören war, wir können unsere Bunker bald verlassen. Nach einem erneuten Anstieg der Fallzahlen am Mittwoch bekam die Kurve eine erneute Spitze. Der Montag wurde damit zum „Sind wir schon da?“-Moment der Corona Krise und die Politiker zu den ungeduldigen Siebenjährigen auf der Auto-Rückbank. Meiner Meinung nach wäre eine Lockerung der Isolation auch bei einem leichten Abflachen der Kurve verfrüht. Wenn sich durch den Kontakt ein erneuter Infektionsherd bilden würde, wären alle einschneidenden Maßnahmen völlig umsonst gewesen und wir sind direkt bei #fattenthecurve. Außerdem denke ich, es ist auch noch völlig verfrüht darüber nachzudenken. Ich vermute, dass wir ein systematisches Problem mit den Fallzahlen haben und nicht, dass die Ansteckungsrate schon messbar sinkt.

An dieser Stelle kann ich nur vermuten, da ich die Prozesse von außen beobachte. Ich möchte es aber trotzdem versuchen, um aus dem Ganzen etwas Sinn abzuleiten. Ich gehe erst einmal davon aus, dass die Virologen Kekulé und Drosten die Wahrheit sagen. Beide nehmen unterschiedliche Positionen in der Krise ein und beleuchten das Thema von verschiedenen Seiten. Beide sagen, die Labore sind noch nicht ausgelastet. Sie schätzen das Arbeitsvolumen völlig unterschiedlich ein 200.000 – 500.000 Proben pro Woche, sagen aber auch beide, dass es eben nur eine ganz grobe Schätzung ist, weil sie keine belastbaren Zahlen dazu haben. Aber sie sind sich einig darin, dass noch Kapazitäten frei seien.

Das andere Ende sind die Menschen, die versuchen Tests zu bekommen. Da habe ich durch meine Schüler*innen und Bekannten zwar ein relativ großes Einzugsgebiet, aber keineswegs so groß, um wirklich etwas belastbares ableiten zu können. Fakt ist aber, dass die Richtlinien des Robert Koch Instituts relativ restriktiv sind, um die Anzahl der Tests niedrig zu halten. Trotzdem lassen die Gesundheitsämter immer wieder keine Tests zu bei Menschen, die diese Vorgaben erfüllen. Selbst wenn die Tests zugelassen werden, muss wie bei meinen Familienangehörigen teilweise zehn Tage gewartet werden. Wenn die Labore wirklich nicht ausgelastet sind, dann gibt es vielleicht einen Flaschenhals in dem die Menschen stecken bleiben.

Wegen meiner persönlichen Erfahrungen muss ich direkt an die Gesundheitsämter denken, da bin ich aber auch sehr voreingenommen. Dafür spricht jedoch, dass alles über die Gesundheitsämter läuft. Die Hausärzte überweisen die Patienten zwar an die Labore, der Kontakt läuft jedoch über das örtliche Gesundheitsamt. In Berlin ist es täglich von 13 -16 Uhr zu erreichen, in NRW immerhin teilweise von 9 – 13 Uhr. Arbeit am Limit in Krisenzeiten sieht allerdings anders aus. Das Ganze scheint auch mit relativ viel Papierkram verbunden zu sein, der sowohl postalisch als auch über Fax läuft. Email ist wohl auch eher die Ausnahme. Es gibt einfach in Limit, wie viele Anträge man pro Tag bearbeiten und Faxen kann. Außerdem werden die Corona-Daten an der RKI per Fax gemeldet. Auch da ist ein ziemlich fixes Limit, wie viele Faxe pro Tag ankommen. Eines nach dem anderen. Das führt dazu, dass manche Landkreise schon fünf oder mehr Tage nicht aktualisiert wurden.

Wir haben meiner Meinung nach keine exponentielle Steigerung der Zahlen mehr, weil wir so viele neue Fälle pro Tag nicht erfassen können. Das obere Limit ist die bürokratische Erfassung und nicht die neuen Ansteckungen. Die Kurve flacht über das Wochenende immer wieder ab und nimmt dann meist Dienstag wieder zu, was für mich auf dafür spricht, dass eben am Wochenende weniger bearbeitet wird und nicht, dass die Ansteckungen plötzlich zurückgehen. Die Social Distancing Maßnahmen sind richtig und wichtig. Nur so schnell bringen sie keine Ergebnisse. Vor allem müssen wir das Ganze durchhalten bis wir verlässliche Zahlen haben und nicht Gefahr laufen alles umsonst gemacht zu haben. Das entscheidet auch nicht im Laufe dieser Woche. Solange wir nicht mal hinbekommen alle Zahlen vernünftig zu erfassen und die John Hopkins University das für Deutschland scheinbar besser (sprich aktueller) macht als ein deutsches Institut, sollten wir weniger darüber nachdenken die Tore zu öffnen und an unserer Infrastruktur arbeiten. Denn das, wie wir an Italien (und den USA) sehen, rettet leben.

Geht man von den Aussagen Kekulés aus, dann wird es einige Zeit dauern bevor man Ergebnisse sieht. Es sind ungefähr fünf Tage bevor man Symptome zeigt, dann zwei Tage bis man einen Test bekommt und wieder mindestens einen Tag bevor man die Ergebnisse hat. Danach kommen vierzehn Tage Quarantäne. Im Optimalfall sind es also zweiundzwanzig Tage. Wir brauchen also Geduld.

Nachtrag:
Dieser Artikel liegt hier schon etwas rum und inzwischen scheint die Regierung gegen ein schnelles Ende der Isolation vorzugehen. Das halte ich für richtig, wenn auch gesellschaftlich belastend. Wir brauchen also noch etwas Sitzfleisch und Nervenstärke.

 

Nerdmeyer

 

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