Picture or it didn’t happen

Corona hat auch bei mir einiges verändert. Besser: Es ist noch dabei sich zu ändern. Als jemand mit einem großen Hang zur Reflexion war der Teil des Referendariats für mich ein Leichtes. Beruflich bin ich ständig am reflektieren über mein tun und wirken, dass man meinen könnte, ich wäre von Beruf Spiegel. Spiegel sind meist allerdings auch etwas anderes, eher flach. So hat es eine Mischung aus verschiedenen Fehlern und Dummheiten meinerseits und der Naturgewalt, die meine wundervolle Partnerin darstellt, gebraucht, um nicht nur über mich im Job, sondern auch über mich im Privatleben intensiv nachzudenken. Genau, wie ich gerade über den letzten Satz nachdenke. Der war zu komplex und die Kommata bestimmt nicht richtig. Das Denken darüber, was mir wichtig ist und wie ich handele, wurde von einem täglichen Strom an neuen Eindrücken, Dingen zu tun und Sachen zu machen unterbrochen. Man hat selten Urlaub von sich selbst. Dann kam Corona.

Entgegen der nachvollziehbaren Erwartung, ging mein Internetkonsum stark zurück. Das verwunderte mich als Vollblut Nerd doch eher sehr. Neben meiner Arbeit, vielen meine Freunde und auch Sport weg. Ich hatte auf einmal Zeit. Mehr Zeit als ich gebraucht habe. Wann hat man das in seinem Leben schon mal?

Ich habe gemerkt, dass ich dadurch Dinge intensiver erlebe. Ich habe weniger in meinem Leben und am Ende mehr davon. Viele Gewohnheiten habe ich als Quick Fix zwischendurch genutzt. Mein Job lässt mir immer wieder sehr wenig Freiraum und hat das Potential auch 28 Stunden eines Tages zu verschlingen. Ich nutze kurze Unterbrechungen, damit ich am Ende des Tages sage, ich habe heute gearbeitet. Und? Wie und? Gearbeitet!

Es sind Unterbrechungen, die mein Leben lebenswerter machen sollen indem sie verhindern, dass ich nur arbeite. Aber sie fügen meinem Leben nichts hinzu. Dabei sind mir gerade Social Media Verhaltensmuster aufgefallen, die ich von früher habe aber heute nicht mehr funktionieren. Das ist ein Beitrag für sich, es geht aber weniger darum, dass ich zu viel Social Media nutze, sondern dass es mir kaum noch etwas bringt. Davon ist instagram meine Lieblingsplattform und so kommen wir endlich zum Titel der Geschichte. Als Hobbyfotograf ist instagram natürlich das gelobte Land und trotzdem inzwischen für mich überflüssig (wieder: anderes Blogposting.) Über die letzten Monate habe ich immer weniger und weniger gepostet, aber auch sehr viel weniger geguckt. Ich habe das Gefühl, ich muss gucken. Nicht, weil ich sonst was verpasse. Das Wichtige erfahre ich, wenn auch später, irgendwann im Gespräch. Nein ich hatte (oder habe immer noch) die Sorge, dass sich dann die wichtigen Menschen in meinem Leben zu wenig wertgeschätzt fühlen. Zum einen, wenn ich zu wenig like. Zum anderen, wenn ich keine Bilder poste.

Natürlich poste ich gerne Bilder. Fast so gerne, wie ich sie mache. Aber wenn ich aus Zeitgründen Probleme habe, die Bilder zu posten, denke ich nicht als erstes: „Oh Schade, es macht mir so einen Spaß Bilder zu posten.“ Ich denke: „Hoffentlich denkt meine Familie jetzt nicht, dass ich den Urlaub mit ihnen nicht schön fand.“ Das ist dumm. Ich habe einen Job, der viel Zeit kostet, unter anderem auch, um mir viel leisten zu können (ok dafür gibts auch bessere Jobs). Den Freiraum, der mir bleibt, nutze ich für meine Familie, für meine Freunde und für mich. Anstatt 10 Minuten lang Bilder zu posten, könnte ich auch 10 Minuten meditieren, was mir hilft ein besserer Vater und liebevollerer Partner zu sein. Aber ich verbringe die Zeit mit dem innerlichen Zwang Bilder zu posten aus Angst, jemand könnte denken, dass ein realer Moment weniger real und wichtig dadurch wird, dass ich ihn nicht im Netz dokumentiere. Picture or it didn’t happen. Dafür bin ich nicht online gegangen, auch wenn es mich jetzt erwischt.

Das ist nur in mir. Ich baue diese Sorge auf. Dabei verbringe ich lieber 10 Minuten extra mit meinen Patchworkern als 10 Minuten Bilder über sie zu posten. So bleibt dann der Gedanke, dass ich zunehmend instagram abstinent werde und sich durch Corona noch einiges ändern wird. Jetzt wo ich ein Mal Zeit für alles hatte, das mir lieb und teuer ist, habe ich den großen Drang so sehr aufzuräumen, bis ich auch ohne Corona wieder Zeit für das Wesentliche haben werde. Das sind ganz voran Familie und Liebe, aber nicht die Dokumentation davon in glorifizierten digitale Poesiealben.

 

Volle Kraft zurück

Gedanklich bin ich gerade von Meeresrauschen umhüllt in einer sternenklaren Nacht. Eine entspannte Ruhe liegt in der Luft. Das Sternenlicht, bei aller Schönheit, reicht leider nicht aus, um den Eisberg zu sehen, auf den wir gerade zusteuern. Zumindest drängt sich mir in den ersten Überlegungen zu diesem Beitrag das Bild der Titanic und dem Eisberg auf. Letztlich führt es zu der Frage, ob wir gut vorbereitet sind oder uns nur für unsinkbar halten.

Vier Tage ist die Schule nun offen. Die Vorbereitungen meiner Schule sind besser gelaufen als es den Umständen nach zu erwarten war. Die Schüler haben genug Desinfektionsmittel, um sich regelmäßig und an vielen Orten der Schule die Hände zu waschen. Wir haben das beste Hygienekonzept, das unter den Umständen möglich war und die Schüler*innen kommen im Schichtbetrieb.

Es funktioniert trotzdem nicht. Es gibt den Teil der Schüler, der genauso unvernünftig ist, wie sonst auch. Der Teil ist nicht klein. Die Schüler*innen sind 15 und 16 in den Abschlussklassen. Wisst ihr noch, was ihr damals angestellt habt? Natürlich müssten sie es besser wissen. Natürlich müssten sie klüger sein. Aber wenn schon ein Mittel gegen Pubertät gefunden worden wäre, wären die Kinder schneller geimpft worden als gegen Covid 19. Die anderen Schüler*innen suchen einfach Nähe, weil sie sich unsicher fühlen und sowieso ein großes Bedürfnis nach Nähe. Zuletzt gibt es einfach die Unachtsamen. Ein schnelles High-Five im vorbeigehen oder ein höfliches Aufheben eines runtergefallenen Stiftes. Man munkelt, selbst geschulten Laboranten unterlaufen Hygienefehler. Es wird immer so getan, als könnten Schüler*innen alles problemlos befolgen. Doch selbst Erwachsenen fällt das schwer.

Das bringt mich zum Titelbild. Da die Autorität von Lehrern leidet, wenn die Schüler*innen wissen, dass man nicht in ihre Nähe kommen kann, wurde mir gestern der Stab verliehen. In seiner Farbe Signalrot und seinen Dimensionen Ein-Meter-und-fünfzig-Zentimeter. Ich hatte es nicht geschafft, die Schüler weiter als 1,2m auseinander zu treiben. Das pädagogische Versagen bemerkte man und der Stab sollte Abhilfe schaffen. Und er half wirklich. Zum einen als Anschauungsobjekt über die wirkliche Länge von 1,5m. Zum anderen mit der Ankündigung das Verhältnis aus Festigkeit und Dichte des Stabes taktil erfahrbar zu machen. Leider haben wir dann im Klassenraum bemerkt, dass selbst in einem unserer größten Räume mit nur neun Schülern der Mindestabstand kaum zu gewährleisten ist. Das war für die Schüler*innen allerdings nicht so schlimm. Denn gleich nach dem Unterrichtsende konnten sie, einmal das Schulgelände verlassen, wieder kuscheln, Händchen halten, spucken und High-Fiven. Nicht nur bei uns, sondern auch bei den anderen Schulen, die ich von uns im Blick habe.

Zusammengefasst bedeutet das für mich, dass Hygiene und Isolation unter Jugendlichen jetzt vorbei ist. Alles im Sinne einer Entlastung der Eltern, im Sinne der Fairness der Prüfungen und für den Unterricht. Ich weiß nicht, in wie weit der erste Punkt zutrifft, wenn die Kinder jetzt unregelmäßig Unterricht haben. Fairness der Prüfungen gibt es in dem Flickenteppich sowieso nicht. Bleibt der Unterricht. Was für Unterricht ist das?

Die Schüler sitzen alle zwei Wochen an Einzelplätzen in der Schule. Der Lehrer kann ihnen kaum etwas zeigen und nur auf Abstand direkt erklären. Was wir jetzt machen, geht gegen jede pädagogische und didaktische Erkenntnis der letzten 20 Jahre. Die Schüler*innen sind mit den Gedanken auch nicht dabei. Entwede,r weil sie sich um wichtigere Dinge Gedanken machen oder, weil sie wissen, dass sie sich notentechnisch auf Erlass des Ministeriums nicht verschlechtern können. Es gibt unter diesen Bedingungen kaum Unterricht, von gutem Unterricht kann man erst recht nicht reden. Das alles, obwohl immer mehr Folge- oder Begleiterkrankungen auch für junge Menschen entdeckt werden. Das alles, obwohl Drosten festgestellt hat, dass Kinder genauso ansteckend sind wie Erwachsene und sich erneut gegen eine Schulöffnung ausspricht.

Selbst in der Industrie wird darüber gesprochen, dass ein Neustart unter innovativen und umweltfreundlichen Bedingungen geschehen soll. Und was machen wir in der Bildung? Wir wollen mit voller Kraft zurück. Dabei fahren wir lieber gegen die Wand als ins Neuland. Jetzt wird darüber gesprochen, das Schichtsystem auch im nächsten Jahr aufrecht zu halten. Die Bildungspolitik spricht jetzt schon über Schule als meinte sie die 1960er Jahre. Dieses Bild versuchen wir nun auf das Internet und Heimunterricht zu übertragen und geraten damit in eine noch größere Schieflage. Natürlich ist ein Schichtmodell möglich. Aber wirklich gewinnbringend ist es nur, wenn wir auch die Didaktik dafür ins hier und jetzt anpassen. Wir brauchen keine Arbeitsblätter, die für lehrerzentrierten Unterricht gedacht sind, wenn der Lehrer fehlt. Wir brauchen freie Aufgabentrukturen, Formate, die die Selbständigkeit stärken und inverted classroom Modelle.

Aber dann müssten wir etwas Neues wagen. Eines der besten Symbole dafür, dass wir es nicht tun, bin im Moment ich. Ich, der mit seinem roten Stab versucht eine alte Ordnung zu halten, die es so im Moment nicht gibt. An einer Schule, die unglaubliches leistet, um ihre Aufgaben zu erfüllen und ihre Schüler*innen ernst nimmt. Wenn die Kolleginnen und Kollegen in der Schule gestern ein Gedanke vereint hat, dann die Hoffnung darüber eine zweite Welle zu verhindern und das mulmige Gefühl, dass sie trotzdem kommt.

 

Prüfungsfetischismus

Der Junge war jetzt genug an der frischen Luft, jetzt muss er wieder in die Schule. Schon alleine des Abschlusses wegen. Zumindest scheinen sich darin die Kultusminister relativ einig zu sein. Normalerweise bin ich der altmodische, strenge Lehrer ja wirklich. Noten gelten in der Forschung und auch im Kollegium überholt und wenig zielführend. Ich selbst verspreche mir davon etwas Vergleichbarkeit für die Schüler*innen selbst. Das Problem sind für mich nicht die Noten, sondern wie die Gesellschaft damit umgeht. Aber das ist eine andere Diskussion. Trotz meines Optimismus Noten gegenüber, bin ich gegen alle Abschlussprüfungen in diesem Jahr. Ich sehe das hohe gesellschaftliche Gesundheitsrisiko dadurch größer als den Nutzen für die Schüler*innen. Mehr noch, ich sehe keinen Nutzen für die Schüler*innen.

Einer der häufigsten Gründe, der für die schnelle Durchführung der Prüfungen genannt wird, ist die Sorge, das Abitur könnte in anderen Bundesländern nicht anerkannt werden. Das ist etwas, das die Kultusministerkonferenz mit Leichtigkeit beschließen könnte. Die Sorge ist nicht nur unangebracht, sie ist hausgemacht und entspringt dem Unwillen etwas zu ändern. Für mich steht neben dem Unwillen die viel wahrscheinlichere Sorge, dass sich kein Kultusministerium die Blöße geben will, die Prüfungen ausfallen zu lassen. Dann wird im Bildungsfö(r)deralismus schnell wieder von Schmalspurabitur geredet und die Häme der anderen Länder ist einem sicher.

Außerdem wird angebracht, dass ein fairer, vergleichbarer Abschluss der Schüler*innen sichergestellt werden muss. Die Schulzeiten werden in jedem der 16 Bundesländer unterschiedlich verzögert. Die Schulen starten zu unterschiedlichen Zeiten und wie genau sie starten ist (zurecht) in Hand der jeweiligen Schulleiter. Inwieweit die Schüler*innen in letzten Wochen gelernt haben, hängt vom Zeitraum der Ferien, der digitalen Ausstattung der Schule und der familiären Situation ab. Inwieweit sie jetzt lernen können, hängt von denselben Faktoren ab, außerdem wie gut der Schulträger seiner Planungsaufgabe nachkommt und vor allem, ob die jeweilige Lehrkraft zu einer Risikogruppe gehört und vielleicht gar nicht selbst prüfen kann. Und das alles, lässt die wichtigsten Aspekte raus: Wie es einem selbst und der Familie physisch, und immer wieder gerne vergessen, mental geht. Es ist eine Zeit mit so vielen unterschiedlichen Stressfaktoren, Fehlerquellen und individuellen Schicksalen, dass es lächerlich ist, hier von Vergleichbarkeit und Fairness zu sprechen.

Die Wissenschaft hat aber gesagt, dass Prüfungen stattfinden können. Moment. Die Wissenschaft (gibt es nicht) hat eine Einschätzung getroffen, dass unter bestimmten Faktoren Prüfungen mit einem geringen Risiko durchgeführt werden können. Diese Faktoren waren strenge Hygiene- und Verhaltensregeln. Wie das alleine in Hannover läuft, kann man hier ansehen:

Das Gesundheitsamt der Region Hannover fand bei der Überprüfung von 112 Schulen vor der Corona-Pandemie nur eine Schule ohne Beanstandung. 

https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Diese-Probleme-haben-Schulen-in-der-Region-Hannover-mit-der-Hygiene

Es scheint viel mehr, wir führen Prüfungen um ihrer selbst willen durch. Der Punkt, dass Prüfungen wichtig sein, um aussagekräftige Noten zu bekommen, ist vielleicht von allen der falscheste. Ein einzelner guter oder schlechter Tag gibt kein einheitliches Bild der Leistung einer Schüler*in. Deswegen zählt selbst das Abitur nur ein Drittel im Zeugnis. Studien haben erwiesen, dass die Abschlussergebnisse sich im Wesentlichen kaum von den gewohnten Leistungen unterscheiden. Wir prüfen aus einem alten, überholten, schädlichen Schulverständnis heraus. Auch an dieser Stelle legt die Corona-Krise wieder offen, was systematisch und strukturell kaputt ist. Das Bildungsverständnis der Kultusminister*innen scheint kaum besser als die 5G Netzabdeckung in Deutschland zu sein.

Wenn gesagt wird, die Schüler*innen müssen aus sozialen oder wirtschaftlichen Gründen wieder in die Schule, dann ist das so zu diskutieren. Aber Abschlüsse sind meiner Meinung nach kein ausreichender Grund. Besonders, wenn man die Gesundheit mit einbezieht und eine Übertragung durch Reden und mögliche Langzeitfolgen nicht ausgeschlossen sind.

Eine passende Radiodiskussion gibt es hier:

Deutschlandfunk.de: Machen Abschlussprüfungen jetzt Sinn?

 

Midlehrcrisis

Das hier wird kein vollwertiger Beitrag. Nicht mal ein Rant oder etwas klassischer eine Glosse. Eher ein wunderbarer kleiner Cupcake, halb aus Wut, halb aus Fassungslosigkeit. Es ist einer dieser Momente in denen ich es nicht mag, Politik-Lehrer zu sein. Wer die anderen Beiträge gelesen hat oder mich kennt, kann sich meine Unzufriedenheit über die Entscheidung der Regierung denken. Spiegel Online fasst das ganz gut so zusammen:

Schulen sollen ab dem 4. Mai wieder schrittweise geöffnet werden. Der Schulbetrieb soll mit Abschlussklassen, obersten Klassen in Grundschulen sowie mit Klassen, die im kommenden Jahr Prüfungen ablegen, beginnen. Bis zum 29. April soll die Kultusministerkonferenz ein Konzept vorlegen, wie der Unterricht mit reduzierten Klassengrößen sowie Hygiene- und Schutzmaßnahmen wieder aufgenommen werden kann. Auch „Pausengeschehen“ und Schulbusbetrieb sollen dabei berücksichtigt werden.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/coronavirus-angela-merkel-und-die-laenderchefs-setzen-auf-vorsicht-a-ead67e0c-8dfd-4863-ab99-7f975bcd3f5b

Zu den Schutzmaßnahmen werden wahrscheinlich Gruppen von Unter 20 Leuten, Schule im Schichtbetrieb, 2m Abstand, getrennte Pausenzeiten usw. gehören als wären Schulen Isolierstationen. Das halte ich für unrealistisch, es ist aber gerade nicht das Problem.

Mein Problem ist, dass wir eine Deadline haben und noch keinen Weg dahin. Wir haben weder geprüft, wie sinnvoll die Maßnahmen sind oder wie viel Zeit sie zur Umsetzung brauchen. Wir haben noch nicht mal Maßnahmen definiert. Das tun erst die Kultusminister, irgendwann in den nächsten zwei Wochen. Jede Beratungszeit geht also von der Umsetzungszeit ab. Das ist weder ein gutes Vorgehen für eine Problemlösung noch für die Implementation von Lösungsstrategien. Das ist Bullshit. Noch mal: Es wurde kein Plan gemacht. Es wurde der Plan gemacht, einen Plan zu finden und das bis zum 04.05.2020.

Aus München ruft es relativ besonnen „Wir machen nix vor dem 11.05.“ Wahrscheinlich haben die erstmal eine Maß getrunken und etwas darüber nachgedacht. Aber dann schallt es aus Hannover:

Hold my beer (Pils), wir in Niedersachsen schaffen das bis zum 27.04.!

Großartig. Ich hätte mich fast geschämt, aber dann rief es aus Düsseldorf:

Hold my beer (Alt), wir in NRW schaffen das bis zum 20.04.!

Kann mir jemand erklären, wie die Kultusminister bis zum 04.05. einen Plan finden sollen, der aber schon zum 20.04. in Teilen umgesetzt wird? Kann mir jemand erklären, wie ich das meinen Schüler*innen erkläre? Ich versuche immer zu vermitteln, dass jede Entscheidung einen Sinn hat, auch wenn es nicht der Sinn ist, den man gerne hätte. Selbst wenn ich hinter der Schulöffnung durchaus Sinn sehe, kann ich dem Vorgehen nichts positives abgewinnen. Ich finde es gleichgültig, unüberlegt und feige. Es ist die einfache Lösung die Schulen ohne Konzept zu öffnen. Aber ist es die richtige? Wenn ja, hätten wir sie gar nicht erst schließen müssen. Neben den ganzen konzeptionellen Fragen sind noch so viele andere offen.

Wie soll Schichtbetrieb in LKs funktionieren?
Was sollen wir unterrichten?
Was ist mit den Lehrern über 60?
Was ist mit Eltern mit Vorerkrankungen?
Was ist mit Lehrern mit Vorerkrankungen?
Was ist mit Schülern mit Vorerkrankungen?
Was ist mit Schülern mit Angst oder Depressionen?

Sind es ein paar Wochen Unterricht wirklich wert, Menschenleben zu riskieren?

Und noch mal: Wie vermittele ich das den Schüler ohne den Glauben in den Staat zu verlieren?

 

Für eine handvoll Wochen

Im Sinne der Corona-Krise schreibe ich heute einen Mitmach-Beitrag. Wir brauchen unbedingt mehr Dinge, die wir zuhause erledigen können. Zuerst suchen wir uns einen Verwandten über 60. Es kann ausnahmsweise auch ein ungeliebter bevorzugt ausgesucht werden. Dann brauchen wir eine Schusswaffe. Wer keine hat, fragt beim örtlichen Nazi oder Reichsbürger an. Die haben Kontakte. Dann brauchen wir letztendlich noch ein Kind. Haben wir alles beisammen, nehmen wir die Waffe (geladen) und richten sie z.B. auf Opa. Wir fragen die kleine Emma, was sie vor sechs Wochen in Geschichte gemacht hat. Wenn sie das Thema relativ genau eingrenzen kann, beenden wir das Projekt hier oder fragen nach einem anderen Fach. Falls nicht, drücken wir ab und gucken, ob Opa überlebt.

Gut – das ist einerseits etwas plakativ und andererseits statistisch nicht vollkommen repräsentativ. Trotzdem ähnelt das Experiment der Wette, die unter anderem die Leopoldina mit ihrer frühen Schulöffnung eingeht. Es wird darauf gewettet, dass der Wissenszuwachs der Schüler*innen das Risiko des frühzeitigen Todes der Risikogruppen wert sei. Die Einschränkungen durch die Schulschließung und allgemeinen Maßnahmen sind enorm. Aber bei einer Schulöffnung gingen sie auf Dauer weiter. Bis wir sicherstellen könnten, unsere Kinder übertragen keine Viren, müssten sie auf einige Familienmitglieder verzichten. Das Risiko gestaltet sich wie folgt:

  • Opa 1: Alter, Vorerkrankung.
  • Opa 2: Alter, Vorerkrankung.
  • Oma 1: Alter.
  • Oma 2: Alter, Vorerkrankung.
  • Oma 3: Alter, Vorerkrankung

Wenn wir unser imaginären Emma nicht sagen wollen „Och, dein Bussi hat Omi getötet.“, müssen wir in Zukunft deren Kontakt einschränken. Bei einer Schulschließung in der wir den Kontakt der Kinder besser nachvollziehen können, wäre das nicht der Fall. Die Leopoldina geht davon aus, die Kinder könnten mit Mundschutz und 2m Abstand unterrichtet werden. Wo die 10,7 Millionen Mundschutze herkommen sollen, die wir für alle Schulkinder alleine in der ersten Woche bräuchten, ist mir zur Zeit schleierhaft; und woher die Elektroschocker kommen, die wir Lehrkräfte bräuchten, um die Kinder auseinander zu halten, weiß ich auch nicht.

Hinter allem steht die Wette, dass diese Wochen für die Schüler so unverzichtbar wären, dass es das Risiko wert sei. An meiner Schule sind bis jetzt weit weniger als zehn Tage richtiger Unterricht ausgefallen, da in die freien Tage auch Dinge wie Projektwochen und Studientage usw. fallen. Weder bei guten noch bei schlechten Schülern wäre dort so viel essentielles Wissen vermittelt worden, dass etwas unwiederbringlich verloren gegangen wäre. Opa hingegen wäre mit einer guten Chance unwiederbringlich erschossen. Je nach Religion vielleicht nicht, aber selbst nach The Walking Dead wäre er zumindest nicht mehr derselbe.

Mich beschleicht das Gefühl, es geht den Diskutanten gar nicht um Bildungsgerechtigkeit oder zumindest einem veralteten Begriff davon. Ich gehe natürlich auch davon aus, dass das Wissen irgendwie nachgeholt und die Lehrpläne überarbeitet werden müssen. Aber Bildung ist mehr als das Auswendiglernen von Fakten und das ständige Wiederholen bestimmter Verhaltensmuster. Wenn ich höre, das Abi dürfte nicht gefährdet werden, wird im nächsten Satz oft gesagt, es müsse fair sein. Ab und zu fällt ein verräterisches „Es dürfe nicht zu leicht werden.“ Dann geht es nicht um Bildungslogik, sondern um Prüfungslogik und das ist wiederum sehr Deutsch. Zwei scheinbar deutsche Grundannahmen sind:

  • Es darf niemand etwas umsonst kriegen.
  • Was nicht überprüft wurde, existiert nicht.

Es sind vor allem diese Punkte, um die das Bildungsverständnis vieler Diskutanten und leider auch Kultusminister*innen kreist. Das akzeptiere ich nicht. Das Abi 2021 ist einfach anpassbar indem man einen Teil der Themen raus lässt. Die Schüler*innen haben dann immer noch genug schwere Themen zur Auswahl. Aber es könnte jemand etwas mit weniger Arbeit als jemand anderes bekommen, das geht hier nicht. Es geht im Moment nicht um Prüfungen oder um Neid, es geht um Menschen. Gerade auch in der Schule. Schulen sind Bildungseinrichtungen, keine Prüfungsfabriken. Damit haben wir irgendwann in den Sechzigern versucht aufzuhören (Betonung auf versucht).

Ein ganz anderer Punkt ist, dass die Schließung der Schulen zeigt, wie wenig wir (und da schließe ich mich mit ein) alleine in der Lage sind, die komplette Betreuung unserer Kinder zu stemmen. Wir sind so verstrickt in Arbeit und Terminen, dass die Kinder ohne die Schule (und Kitas) als sozialen Ort leiden. Darüber sollten wir auch mal nachdenken.

 

Flatten the curve

Unter #flattenthecurve versteht man die Bestrebung, die Ausbreitung des Corona-Virus einzuschränken. Die Fallzahlen sollen sich dabei nicht mehr exponentiell vergrößern, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Eine Überforderung geht mit vielen Toten einher, wie man in Italien beobachten kann. Exponentielle Funktionen sind nicht nur das unheilbringende Übel eines Oberstufenschülers, sondern auch einer gesamten Gesellschaft. Also tun wir das, was ich ungefähr mein halbes Studium lang getan habe. Wir bleiben drinnen, sitzen am PC, vor dem Fernseher und meiden das Sonnenlicht so sehr, wie der durchschnittliche Vampir.

Nach nicht noch mal zwei Wochen werden die ersten Stimmen laut, dass es nun auch mal gut sein müsse. Letztes Wochenende war ein Abflachen der Kurve zu beobachten. Woraufhin am Montag vermehrt zu hören war, wir können unsere Bunker bald verlassen. Nach einem erneuten Anstieg der Fallzahlen am Mittwoch bekam die Kurve eine erneute Spitze. Der Montag wurde damit zum „Sind wir schon da?“-Moment der Corona Krise und die Politiker zu den ungeduldigen Siebenjährigen auf der Auto-Rückbank. Meiner Meinung nach wäre eine Lockerung der Isolation auch bei einem leichten Abflachen der Kurve verfrüht. Wenn sich durch den Kontakt ein erneuter Infektionsherd bilden würde, wären alle einschneidenden Maßnahmen völlig umsonst gewesen und wir sind direkt bei #fattenthecurve. Außerdem denke ich, es ist auch noch völlig verfrüht darüber nachzudenken. Ich vermute, dass wir ein systematisches Problem mit den Fallzahlen haben und nicht, dass die Ansteckungsrate schon messbar sinkt.

An dieser Stelle kann ich nur vermuten, da ich die Prozesse von außen beobachte. Ich möchte es aber trotzdem versuchen, um aus dem Ganzen etwas Sinn abzuleiten. Ich gehe erst einmal davon aus, dass die Virologen Kekulé und Drosten die Wahrheit sagen. Beide nehmen unterschiedliche Positionen in der Krise ein und beleuchten das Thema von verschiedenen Seiten. Beide sagen, die Labore sind noch nicht ausgelastet. Sie schätzen das Arbeitsvolumen völlig unterschiedlich ein 200.000 – 500.000 Proben pro Woche, sagen aber auch beide, dass es eben nur eine ganz grobe Schätzung ist, weil sie keine belastbaren Zahlen dazu haben. Aber sie sind sich einig darin, dass noch Kapazitäten frei seien.

Das andere Ende sind die Menschen, die versuchen Tests zu bekommen. Da habe ich durch meine Schüler*innen und Bekannten zwar ein relativ großes Einzugsgebiet, aber keineswegs so groß, um wirklich etwas belastbares ableiten zu können. Fakt ist aber, dass die Richtlinien des Robert Koch Instituts relativ restriktiv sind, um die Anzahl der Tests niedrig zu halten. Trotzdem lassen die Gesundheitsämter immer wieder keine Tests zu bei Menschen, die diese Vorgaben erfüllen. Selbst wenn die Tests zugelassen werden, muss wie bei meinen Familienangehörigen teilweise zehn Tage gewartet werden. Wenn die Labore wirklich nicht ausgelastet sind, dann gibt es vielleicht einen Flaschenhals in dem die Menschen stecken bleiben.

Wegen meiner persönlichen Erfahrungen muss ich direkt an die Gesundheitsämter denken, da bin ich aber auch sehr voreingenommen. Dafür spricht jedoch, dass alles über die Gesundheitsämter läuft. Die Hausärzte überweisen die Patienten zwar an die Labore, der Kontakt läuft jedoch über das örtliche Gesundheitsamt. In Berlin ist es täglich von 13 -16 Uhr zu erreichen, in NRW immerhin teilweise von 9 – 13 Uhr. Arbeit am Limit in Krisenzeiten sieht allerdings anders aus. Das Ganze scheint auch mit relativ viel Papierkram verbunden zu sein, der sowohl postalisch als auch über Fax läuft. Email ist wohl auch eher die Ausnahme. Es gibt einfach in Limit, wie viele Anträge man pro Tag bearbeiten und Faxen kann. Außerdem werden die Corona-Daten an der RKI per Fax gemeldet. Auch da ist ein ziemlich fixes Limit, wie viele Faxe pro Tag ankommen. Eines nach dem anderen. Das führt dazu, dass manche Landkreise schon fünf oder mehr Tage nicht aktualisiert wurden.

Wir haben meiner Meinung nach keine exponentielle Steigerung der Zahlen mehr, weil wir so viele neue Fälle pro Tag nicht erfassen können. Das obere Limit ist die bürokratische Erfassung und nicht die neuen Ansteckungen. Die Kurve flacht über das Wochenende immer wieder ab und nimmt dann meist Dienstag wieder zu, was für mich auf dafür spricht, dass eben am Wochenende weniger bearbeitet wird und nicht, dass die Ansteckungen plötzlich zurückgehen. Die Social Distancing Maßnahmen sind richtig und wichtig. Nur so schnell bringen sie keine Ergebnisse. Vor allem müssen wir das Ganze durchhalten bis wir verlässliche Zahlen haben und nicht Gefahr laufen alles umsonst gemacht zu haben. Das entscheidet auch nicht im Laufe dieser Woche. Solange wir nicht mal hinbekommen alle Zahlen vernünftig zu erfassen und die John Hopkins University das für Deutschland scheinbar besser (sprich aktueller) macht als ein deutsches Institut, sollten wir weniger darüber nachdenken die Tore zu öffnen und an unserer Infrastruktur arbeiten. Denn das, wie wir an Italien (und den USA) sehen, rettet leben.

Geht man von den Aussagen Kekulés aus, dann wird es einige Zeit dauern bevor man Ergebnisse sieht. Es sind ungefähr fünf Tage bevor man Symptome zeigt, dann zwei Tage bis man einen Test bekommt und wieder mindestens einen Tag bevor man die Ergebnisse hat. Danach kommen vierzehn Tage Quarantäne. Im Optimalfall sind es also zweiundzwanzig Tage. Wir brauchen also Geduld.

Nachtrag:
Dieser Artikel liegt hier schon etwas rum und inzwischen scheint die Regierung gegen ein schnelles Ende der Isolation vorzugehen. Das halte ich für richtig, wenn auch gesellschaftlich belastend. Wir brauchen also noch etwas Sitzfleisch und Nervenstärke.

 

Corona und die Mediendemokratie

Was ich nicht sehe, das tötet mich vielleicht trotzdem.

Unsere Gesellschaft beruht auf der Übereinkunft, dass Zusammenarbeit in der Regel sinnvoller sei als sich pausenlos mit Keulen über die sieben Kontinente zu jagen. Nicht nur an Kriegen, Streits und Konflikten sieht man, dass es sich dabei nur um eine Übereinkunft, also einen Konzens handelt, nicht um ein Naturgesetz. Wir sind und bleiben Raubtiere, vernunftbegabt, aber Raubtiere. Wer einen kurzen Beweis möchte, der rollt ein Papierknäuel durch sein Zimmer und verfolgt es mit den Augen ohne den Kopf zu bewegen. Jetzt macht er dieselbe Bewegung mit den Augen ohne etwas zu verfolgen. Nicht so flüssig? Eher von Punkt, zu Punkt, zu Punkt? Kein Wunder, eure Beute fehlt – ihr habt nichts zum Töten.

Wer nun merkt, das ihm seine Augen nicht völlig gehorchen, der kann sich zumindest eingestehen, dass wir nicht immer unsere Sinne beherrschen, sondern sie auch uns. Wir glauben, was wir sehen, fühlen, hören, schmecken. Wir glauben weniger, was uns andere Berichten, das sie sehen, fühlen, hören, schmecken. Wir glauben am wenigstens, was andere Vermuten, das andere Vermuten, das jemand gesehen haben könnte. Trotz des (Über)Flusses an Bildern, ist es für Medien und insbesondere den Journalismus immer noch schwer potentielle sprich drohende Gefahren zu vermitteln.

Es findet Kommunikation und Aufklärung im Konjunktiv statt. Ein „was ich nicht sehe, das gibt es auch nicht“ führt uns gesellschaftlich nicht weiter, wenn eigentlich heißen könnte „was ich noch nicht sehe, das kommt vielleicht trotzdem.“ Corona stellt uns damit vor eine demokratische und mediale Herausforderung. Wir müssen handeln, bevor etwas Schlimmes passiert. Sobald es passiert, ist es nämlich schon zu spät. Wer nun meint, das sei einfach, der sollte bedenken, wie schwer es ist, sich an Neujahrsvorsätze zu halten. Wie schwer es ist, auf etwas zu verzichten, wenn man eine Diät macht. Bedenkt dabei nur, dass die Diät schon eine Reaktion auf einen Fehler war. Ihr (und anwesende Autoren inbegriffen) seid schon fett, weil ihr nicht schnell genug gehandelt habt. Übertragen auf Corona hieße das, es wären schon 120.000 Leute gestorben. Zack – Massenmörder, weil ihr die Finger von dem gottverdammten Donut nicht lassen konntet.

Andererseits hat jeder das Recht dick zu werden, zumindest in meinem Fall, waren damit auch sehr viele gute Momente verbunden. Wirklich alles ist besser mit Bacon.

Das macht die Sache natürlich komplizierter. Zum einen versuchen wir etwas zu diskutieren, das kommen könnte – oder nicht, zum anderen sollen wir jetzt darauf verzichten unser Leben zu genießen. Das ist nicht nur schwer zu kommunizieren, jeder hat darauf auch eine andere Antwort. Es stellt unsere Demokratie und auch unser Mediensystem vor eine dramatische Aufgabe. Aber nicht vor eine neue Aufgabe, es ist eine Aufgabe, bei der wir versagt haben.

Corona ist nicht das erste potentielle Problem. Das tragische Glück der Pandemie sind ihre unmittelbaren Auswirkungen. Ein anderes (nicht mehr allzu) zukünftiges Problem dessen Lösung wir auf Übermorgen verschieben, ist der Klimawandel. Und wir wissen, wie das gerade läuft.

Wenn unsere Gesellschaft auf Übereinkünften beruht, dann müssen wir darüber kommunizieren. Hoffentlich besser als beim Klimawandel. Wie das jedoch gehen soll, kann ich hier an dieser Stelle nicht beantworten. Das kann niemand – nicht alleine. Wir alle zusammen müssen sprechen, in uns gehen, nachdenken und sehen, was es uns wert ist, was wir vernünftig finden und was wir tun wollen. Das ist etwas, das man nur gemeinsam lösen kann und muss. Es macht uns vor allem auf eine Sache aufmerksam. Wir sitzen im selben Boot, das mögen wir zwar vergessen haben über die Nachkriegsjahre. Aber Krisen wie diese zeigen es deutlich. Jetzt müssen wir neue Übereinkünfte treffen oder uns bald erneut mit Keulen durch die Wildnis jagen.

 

Druck

Ich liege völlig verdreht und in mich gekehrt (auch im physischen Sinne) auf dem Bett. Draussen zirpen die Grillen, Drinnen rauscht und plätschert der Geschirrspüler. Außerdem brummt es. Leise, monoton und unaufhörlich. Das müsste dann die Katze sein. Durch den Kopf geht mir aber nur das Wort „Druck“, wie ich es erkläre, wie ich es aufschlüssle und vielleicht selbst erst einmal begreife.

Ich denke in den letzten Monaten sehr viel darüber nach, da ich immer mehr und mehr Druck verspüre. Stress kenne ich, Leistungsdruck auch. Aber der Druck ist anders. Er ist nicht auf eine bestimmte Sache bezogen, sondern allgegenwärtig. Ich stelle mir viele Fragen. Empfinde ich nun einfach nur viel verschiedenen Druck, auf viele Dinge bezogen? Ist da eine Sache, die mir alles unter Druck setzt? Antworten habe ich keine. Allerdings hat mir das Schreiben immer dabei geholfen, Antworten zu finden. Und wenn nicht – dann zumindest dabei, die richtigen Fragen zu stellen.

Eine der Fragen wäre, was denn mein dafür sorgt, dass der Druck immer mehr ansteigt als wäre ich der Dampfdrucktopf meiner selbst. Warum lässt er nicht nach, wenn etwas erledigt ist. Ist das Ventil verstopft oder in meinem Alter eher verkalkt? Die andere Frage wäre, warum ich denn so wenig Zeit zum Schreiben und Meditieren aufbringen kann. Die dritte Frage wäre, was ich denn befürchte. Ich habe mal gesagt, dass hinter fast allem die Angst steht, mit etwas nicht fertig zu werden. Der Druck kommt auf jeden Fall auch durch die Angst, es alles nicht zu schaffen. Aber wenn ich dann an die Konsequenzen denke, dann habe ich vor denen keine Angst. Egal, was mir beruflich Blühen würde, ich denke inzwischen, ich komme mit dem Schlimmsten immer klar. Dafür habe ich zu viel Mist zu Stroh zu Gold gesponnen.

Während ich diese Zeilen schreibe, dämmert mir, dass die Angst vor dem Schlimmsten wirklich nicht das Problem ist. Es ist die Angst vor dem Zweitschlimmsten. Neu anfangen fällt mir inzwischen leicht. Aber nicht neu anzufangen und in einer schlechten Situation gefangen zu sein, das eher nicht. Mit dem Zweitschlimmsten meine ich, etwas zu verlieren, aber nicht alles. Auf Wertvolles zu verzichten, aber nichts neues schaffen zu können. Auf der Stelle zu treten. Besonders, wenn die Stelle voller Hundescheiße ist. Und ich barfuß laufe. Und die Hunde Nägel gefressen haben. Und meine Tetanus Impfung abgelaufen ist.

Darüber denke ich jetzt nach. Unter dem Brummen der Katze, dem plätschern des Geschirrspülers und dem Schreien der Nachbarn, die die Grillen übertönen. Und hoffentlich bald wieder hier.

 

Für eine Handvoll Bytes

Ich habe Mist gebaut. Mehr als das. Als ich gestern an einem etwas hochwertigerem Beitrag für den Blog arbeiten wollte (ja, ehrlich), musste ich den Tod meiner einen Festplatte feststellen. Ohne vorheriges Anzeichen, trat sie in die ewigen Datengründe über. Wie der Zufall so will, war sie die wichtigste der sechs Festplatten in meinem Rechner. Die mit den Fotos. So verlief nicht nur das Blogposting, sondern auch der ganze Tag anders als erwartet. Statt einem letzten entspannten Wochenende, begannen zwölf Stunden Wiederbelebungsversuche, die letztendlich vergebens waren. In über 25 Jahren mit einem eigenen PC, ist das mein erster Datenverlust. Aber ich habe ja noch meine Backups.

Oder auch nicht. Man sollte im Referendariat nichts Wichtiges machen. In einer prokrastinationsbasierten Sortieraktion habe ich zwar meine Fotos aufgeräumt, aber sie aus dem Backup rausgeräumt. Mit anderen Worten, ich habe kein Backup mehr.

Zwölf Jahre Fotos sind nun weg. Meine Gefühle sind gemischt. Es sind so viele schöne Fotos dabei, die ich noch bearbeiten, drucken und aufhängen wollte. Es ist so viel Mist dabei, den ich immer löschen wollte, es aber nicht konnte. An den Fotos haften nicht nur positive Erinnerungen und der ganze Ballast ist nun weg. Es warten nicht mehr ein-, zweitausend Fotos, die noch gesichtet und bearbeitet werden müssen. Dieser Kahlschlag ist auch eine kleine Erleichterung und passt zur Zäsur, die mein Leben gerade erfährt. Neuer Job, neue Schule, neue wunderbare Menschen in meinem Leben – warum nicht Altes hinter sich lassen?

Für gut 500€ – 1000€ könnte ich eine professionelle Datenrettung in Auftrag geben. Pro Foto gerechnet, sind das nur ein paar Cent. Aber realistisch bleiben das gottverdammte eintausend Euro. Daher auch das Philosophieren über den Wert der Fotos. Als erstes dachte ich, ich komme realistisch betrachtet nie dazu, alle Fotos zu bearbeiten und zu posten. Das stimmt. Aber liegt da nicht ein Fehler? Hat nur etwas einen Wert, das ich poste, teile und likes bekomme? Nein, weil ich für mich mit der Fotografie angefangen habe und letztendlich auch immer noch für mich fotografiere. Natürlich möchte ich sowohl Bestätigung als auch, dass meine Fotos anderen gefallen. Aber ich fotografiere weiterhin für mich.

Ich werde morgen einen Kostenvoranschlag einholen und sehen, was auf mich zukommt. Ich bin mir noch nicht sicher, was ich mache. Ein Schnitt kann auch für die Kreativität ganz heilsam sein. Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Wir sind es so sehr gewohnt, dass Bilder unendlich oft vervielfältigt und geteilt werden können. Plötzlich sind die Fotos an meiner Wand, die letzten ihrer Art.

PS: Seid kein Nerdmeyer, macht immer doppelte Backups.

 

Weiter. Gehen.

Jeder Anfang ist ein neues Ende. Das habe ich ganz beiläufig zu einer Freundin gesagt und muss seitdem darüber nachdenken. Es stimmt. Als ich diesen Blog hier vor einem Jahr startete und damit das Referendariat begann, war mir nicht klar, dass sich die Zeit bis heute wie die längste Woche anfühlen würde. Gestern habe ich meine Prüfung bestanden und heute fühle ich mich, als hätte ich die Zeit in einer Höhle verbracht. Als hätte für mich die Zeit stillgestanden und um mich herum wäre alles weiter gegangen.

All die Menschen, die mein Herz berührt haben und denen ich mich verbunden fühle, kleine wie große, müssen bald Abschied nehmen. Der Abschied hat auch schon begonnen. Langsam gehe ich weiter. Ich möchte nicht. Aber wenn man nicht mit anderen gehen kann, bleibt nur übrig stehenzubleiben. Man mag sich zwar einbilden, dass das geht. Jedoch funktioniert es nie völlig. Aber weitergehen heißt nicht weggehen. Wir nehmen immer etwas mit, tragen es weiter in uns. Das wenigste muss enden, es verändert sich nur. Kontakte kann man halten, wenn auch nicht einfrieren.

Wenn man nicht weggeht, sondern weitergeht wird man weiter gehen. Damit meine ich, man bekommt mehr. Es geht weiter, in Sinne von etwas wächst, es geht über sich hinaus und wird größer. Aber dazu muss man Veränderungen akzeptieren, Erwartungen los lassen und nicht ständig davor Angst haben, was passieren könnte! Es würde schon reichen, nur zu beobachten, was gerade in diesem Moment geschieht. Statt der Angst vor einem Möglichen Schaden, könnten wir auch betrachten, wie etwas ungewohntes in unser Leben passt. Dann geht es weiter. Man geht weiter. Und nicht immer nur weg.